„ich bin unterwegs bei Dir“
eine junge türkische Frau im Zug schräg vor mir
telefoniert mit dem Handy
mit ihrem Geliebten
will ihm etwas sagen
„was ich Dir nicht am Telefon sagen kann, aber gleich, gleich –
ich bin unterwegs“
(und korrekt wäre „zu Dir“)
aber
im Mysterium jedes Einzelnen
denn es gibt nichts mehr
was zweitrangig wäre
seit der Gott meines Glaubens in dieser Welt
Mensch geworden ist
und
alles durchlebt
auch
Konflikte
Unrecht
Gewalt
Sprachlosigkeit
Ohnmacht
Sehnen
Essen
Trinken
Schlafen
Wachen
Sterben
im sterblichen Körper dieser Welt
nirgendwo sonst
finde ich
Reisender
ungedeckt Reisender
entkleidet jeder Gewissheit als Besitz
nicht in den Sicherungen des fest gefügten Hauses
alleine mehr
im Tagesgefüge
zufälliger Gemeinschaft
nie fertig mit Gott
durch sie
heute
die Spur
und sie, die junge Türkin
gibt mir im fehlerhaften Wort
das Gebet
ich wildere
Vagabund des Verlangens
in der Dichte sozialer Verknüpfungen
in den sterblichen Körpern
des sterblichen Weltkörpers
meines Körpers
im Raum des Verlangens
nach Dir
nicht
ohne
nicht
ohne
Dich
sagt die Stimme des Liebenden, der Liebenden
„lass nicht zu, dass ich mich jemals von D i r trenne“
betet aus dem Messordinarium
seit dem Sakramentar aus Amiens
aufgezeichnet
im 9. Jahrhundert
der Priester vor
seiner eigenen Kommunion
und
hallt nach
das fragende und ringende und singende Flehen des Paulus:
„Wer wird uns trennen von der Liebe des Messias? Drangsal? Oder Angst? Oder Hetzjagd? Oder Hunger? Oder Blöße? Oder Gefahr?
Oder Schwert?
Wie geschrieben ist: deinetwegen sind wir des Todes, den ganzen Tag, wie Schlachtschafe werden wir gerechnet.
Doch in all dem überwinden wir weit – durch den, der uns geliebt.
Denn ich bin überzeugt:
Weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte,
weder Gegenwärtiges noch Künftiges noch Kräfte,
weder Hochoberes noch Tiefunteres,
noch irgendwelch andere Kreatur
kann uns trennen von der Liebe Gottes
die ist im Messias Jesus, unserem Herrn.“
(Röm 8, 35-39)
so gibt die junge Türkin, namenlos,
mir heute Anteil
und heilige Gastfreundschaft
in ihrem gesprochenen Wort zum abwesend anwesenden Geliebten hin
im fahrenden Nahverkehrszug kurz vor der Brücke über den Rhein
gegenüber dem Dom
im Flehen ihres fehlenden Wortes
mein Tagesgebet
ich bin unterwegs bei D i r
Markus Roentgen


